Traditionsbewusstes, modernes China vs. geschichtsvergessenes, postmodernes Europa.
China grast seit Jahren in vielen Regionen Asiens und Afrikas und sogar in der EU in Süd- und Osteuropa mit dem durchdachten, nachhaltigen Konzept der ‘Neuen Seidenstraße’ völlig ungestört die Weiden ab, die ein sich zunehmend von seinen Ursprüngen entfernendes, paralysiertes Europa brachliegen und verwahrlosen lässt.
Ob Griechenland, Balkan oder Italien – seit der Schulden- und Finanzkrise bzw. seit den Jugoslawienkriegen tut sich dort von EU- Seite wenig. Die regionalen Politiker sind mit ihren Geschäften, Karrieren und lokalen Rivalitäten beschäftigt, die Spitzenpolitiker der EU und ihrer maßgeblichen Mitgliedsländer mit sich selbst und ihren Eitelkeiten, identitätspolitischen Experimenten und Einträgen in die Geschichtsbücher oder Nobelpreis-Listen. Überforderung, Konzeptlosigkeit und mangelndes Interesse an Menschen und Zukunft ist greifbar. Wo realpolitischer Handlungsbedarf besteht, gibt es stattdessen Visionen, wo Visionen nötig wären, herrschen Stillstand und Grabenkampf. Jedenfalls gibt es weder sachgerechte noch chancenorientierte Konzepte, nur Potemkinsche Dörfer, die sich im Laufe der Zeit von Prestige- Projekten in Bauruinen verwandeln.
Das Konzept der neuen Seidenstraße (‘One Belt, One Road’) ist die chinesische Variante der Globalisierung, ein gewaltiges globales Infrastruktur- und Investitions- Projekt, das auf ökonomische Zusammenarbeit unter chinesischer Federführung und Dominanz abzielt. Chancen und Risiken inklusive. Es füllt die Lücke, welche die auf kurzfristige Profitmaximierung ausgerichtete Globalisierung des Westens aufreißt. Ob es auch die kulturellen und mentalen Lücken schließen kann, bleibt abzuwarten.
Kurzvideo: Wie China sein Mega-Projekt “Neue Seidenstraße” vorantreibt (ARD Mittags Magazin, 6:55 min). Einen weiteren Kurzfilm zur Seidenstraße gibt es von der NZZ, 5:48 min.
In diesem Artikel geht es nicht um Darstellung und Beschreibung des Seidenstraßen- Projektes und seine Umsetzung, sondern um einen Vergleich der ideellen und kulturellen Grundlagen zwischen westlichem und chinesischem Konzept. Und um die Frage, warum das chinesische Konzept vielen Beobachtern als erfolgversprechender gilt als das des ‘Westens’.
Konfuzius: Adam Smith & Karl Marx
Der Zeithorizont der westlich- europäischen Politik bemisst sich nach Legislaturperioden, Amtszeiten und Karrieren, derjenige Chinas nach Generationen und Epochen. Die Europäische Union wird wie eine auf kurzfristige Profite und üppige Managergehälter und Dividenden getrimmte AG geführt, China als ein auf Nachhaltigkeit und langfristigen Erfolg ausgerichtetes Familienunternehmen.
Gemäß ihres konfuzianischen Weltbildes begreifen sich die Chinesen im Gegensatz zu den entwurzelten, pseudo-aufgeklärten Europäern (welche die Werte der Aufklärung lieber verehren statt sie kulturell zu integrieren und im Alltag zu praktizieren) als Teil eines Ganzen, einer Familie, eines Betriebes, eines Staates oder einer Kultur, in jedem Falle Teil eines – allerdings meist streng hierarchisch organisierten – Kollektivs. Im Rahmen dieser Gemeinschaften findet ein jeder Chinese Orientierung und hat eine Rolle und eine Aufgabe zu erfüllen. Sowohl Familiensinn wie Patriotismus und Achtung vor der eigenen Kultur ist für Chinesen selbstverständlich, während in den tief gespaltenen, atomisierten und postmodernen Gesellschaften Europas all dies zunehmend verpönt ist, ganz besonders in Deutschland. Kultur- Soziologen sprechen in diesem Zusammenhang von der kulturellen Normen und Sitten verpflichteten asiatischen Schamkultur im Gegensatz zu der verinnerlichten universalen Werten verpflichteten europäsch- christlichen Schuldkultur. (Scham- und Schuldkultur, Wiki)
Beides, primäre Wertschätzung des Kollektivs wie des Individuums, hat Vor- und Nachteile. Auf der einen Seite die Kraft und die Synergien durch den wohl organisierten, stabilen Zusammenhalt bei allerdings eingeschränktem individuellem Spielraum, auf der anderen Seite die Entfaltung der Kreativität des freien Individuums unter Verlust von unbedingter Solidarität und Gemeinschaft.
Der Mensch als Zwischenwesen
Das Zwischenwesen Mensch strebt nach beidem, Individualität wie Zugehörigkeit – bei unterschiedlichen individuellen Schwerpunkten und Talenten. Am besten wäre eine gesunde Mischung der Talente wie bei einer Fußballmannschaft, bei der jeder einzelne wertvoll ist, das Teamwork am Ende aber mehr ergibt als die Summe seiner Teile. Das ganze Spielfeld muss beackert werden, jeder wird gebraucht. Hinten die Recken, Bluträtscher und Wadenbeißer, im Mittelfeld die Spielgestalter, Kampfschweine und Dauerläufer, vorne die Dribbler, pfeilschnellen Außen und der Mittelstürmer, der dahin geht, wo es weh tut. Und in den Schnittstellen die Wühler ohne feste Position!
Im wirtschaftlichen Bereich ergäbe das wohl so etwas, wie es in Deutschland mal im Ansatz die soziale Marktwirtschaft war, mit Eigenverantwortung und Eigeninitiative auf der einen und familiärer und gesellschaftlicher Bindung und Solidarität auf der anderen Seite. Das alles auf Basis fester Regeln zum Wohle der Gemeinschaft wie der Einzelnen. Vielleicht entwickelt sich China ja in diese Richtung. Dann hat das Land das Beste womöglich noch vor sich.
Langes Video: Seidenstraße 2.0 – Chinas Weg zur Weltspitze | Arte Doku (53:44 min)
Die Europäer sind längst darüber hinweg, wie das Wort ‘postmodern’ recht gut zum Ausdruck bringt. Familien und gesellschaftliche Solidarität sind zerfallen. Schwächen werden nicht ausgeglichen, sondern ausgenutzt. Der europäische Zusammenhalt besteht aus peer- groups und Lobbyismus, Netzwerken und Seilschaften, ein ‘Tribalismus der Moderne’, doch der bedient lediglich Partikular- Interessen, nicht darüber hinaus gehende tradierte, stabile gemeinschaftliche Bezüge von zeitlosem Wert, wie sie die Familie, ein solidarisches Gemeinwesen oder eine gemeinsame kulturelle Identität darstellen. Der Zusammenhalt ist daher schwach, im Zweifel temporär und projektorientiert und zerbricht, sobald Probleme auftreten.
Führt man sich dies vor Augen, wundert der desolate Zustand Europas nicht mehr. Die Verwüstungen im Innern kehren sich lediglich nach außen. Ignorieren Politik und Zeitgeist die anthropologischen Konstanten jenseits konstruktivistischer Visionen, zerfällt die Dreifaltigkeit der menschlichen Identität als ‘Zwischenwesen’ aus Natur, Kultur und individueller Erfahrung in Scherben. Und sind die Grundbedürfnisse nach Nahrung, Schutz und Liebe nicht mehr Gegenstand der Politik, sondern nurmehr lästige Hindernisse in der persönlichen Karrierplanung der von der Alltagsrealität isolierten und von sozialen Bezügen abgekoppelten Anführer, können auch immer schrillere Durchhalteparolen, Phrasen und Appelle an gar nicht mehr in der realen Welt verankerte universalistische Werte nichts daran ändern. Denn das Sein bestimmt noch immer das Bewusstsein. Zumindest darin stimmen Konfuzius, Smith und Marx überein.
Links
Der freie Markt im Konfuzianismus (Goethe Institut)
Konfuzius im heutigen China (Schiller Institute)
Grafik:
chensiyuan [CC BY-SA 4.0], via Wikimedia Commons
Lommes [CC BY-SA 4.0], via Wikimedia Commons
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