[Netzfund] “Ich näherte mich eine halbe Stunde später dem Sammelpunkt und hörte schon aus einem Kilometer Entfernung Redefetzen wie „Merkel muss weg. Am deutschen Asylwesen darf nicht die Welt genesen.“
Dann kam ich auf die glorreiche Idee, den direkten Weg durch den schwarzen Block der Fa und ihre Sprechchöre zu nehmen: „We say it now, we say it clear. Refugees are welcome here“ und „Alerta, alerta, antifascista“.
So schlängelte ich mich bis zum Polizeikordon durch. Die Polizisten hatten sich eingehakt. Ich sagte einer Polizistin, dass ich an der Demonstration teilnehmen wolle und so wurde ich durchgelassen. Dabei entstand um mich herum ein ziemliches Gedränge, Geschubse und Geschreie von allen Seiten. Jeder, der durchkam, wurde von den Teilnehmern im Innenbereich mit Beifall empfangen (paar Bürgerliche schienen draußen stehen geblieben zu sein).
Jemand verteilte Rote Karten. Denn das Motto hieß: „Merkel die Rote Karte zeigen!“. Ich checkte gleich mal neugierig, was für Leute sich da so versammelt hatten und war sofort erleichtert. Das war ein guter Querschnitt der Bevölkerung. Leute, die in der Blüte ihrer Jahre stehen. Leistungsträger der Gesellschaft. Steuerzahler. Das Gros so zwischen 40–50, aber auch viele Jüngere und Ältere. Viele Frauen. Ein paar Mittdreißiger im Anzug stachen heraus. Vielleicht Unternehmer. Aber sichtlich keine komischen Käuze.
Hier marschierte wirklich das Volk!
Wenig später setzte sich der Zug in Bewegung. Die Stimmung war sehr entspannt, das Wetter gut. Ab und zu kamen wir an Stellen vorbei, an denen schwarzgekleidete Gestalten die Straßen säumten. Das müssen wohl die Nazis gewesen sein. „Nazis raus!“ schallte es aus unserem Zug. Einer von uns rief „Ich zahl‘ euch kein Bafög mehr!“, was große Heiterkeit bei uns auslöste. Auf der Gegenseite wohl eher weniger ebenso wie der besonders beliebte Sprechchor „Eure Eltern wählen AfD!“.
Es war eine Stimmung wie 1989!
Damals waren wir eine Million und fünf Tage später fiel die Mauer. Jetzt kamen wir an der Stelle vorbei, an der ich damals dieses berühmte Plakat mit Egon Krenz sah, auf dem er mit riesigen Zähnen als “Rotkäppchen Großmutter” dargestellt war. In diesem Moment fühlte ich mich um 26 Jahre zurückversetzt. Gänsehautgefühl!
Aus meiner Position war der Anfang des Zuges nicht zu sehen. Jemand mit einem Megafon kam durch und teilte mit, dass der Demonstrationszug insgesamt 500 Meter lang sei. Wir diskutierten untereinander und schätzten, dass wir etwa 10 000 Leute sein müssten oder mehr. Die Route war allein deswegen gut gewählt, weil wir am „ARD-Studio“ vorbeikamen: „Lügenpresse! Lügenpresse!“ tönte es aus tausenden Kehlen. Szenenapplaus gab es hier für die Polizei, als sie eine etwas derangiert (bekifft?) wirkende Nazi-Tusse, die offenbar die Absperrung zum Zug überwinden wollte, zu Boden brachte und festnahm.
„Eins, zwei, drei… danke Polizei!“
Einen Kloß im Hals hatte ich kurzzeitig, als ich meinen Hintermann zu seiner Partnerin sagen hörte: “Hier wurde mir von der Stasi der Prozess gemacht. Der dauerte nur sechs Minuten. Sechs Jahre in sechs Minuten.“
Auf dem Washington-Platz vor dem Hauptbahnhof sammelte sich der Zug und hier wurden direkt gegenüber dem Bundeskanzleramt zwei Reden gehalten. Die zweite von der AfD-Chefin Frauke Petry. Diese Rede kann sich ja jeder selbst im Internet anhören. Sie war inhaltlich definitiv sehr gut und auch gut gehalten. Die Stimmung prächtig.
Der Abmarsch über den Hauptbahnhof verzögerte sich etwas, weil paar rotlackierte Nazis noch etwas Ärger machten. Wir vertrieben uns die Zeit u. a. mit dem nochmaligen Absingen der Nationalhymne – das dürfte die antideutschen Schreihälse („Nie wieder Deutschland!“) am meisten geärgert haben; paar von denen hatten sich noch auf dem S-Bahnsteig versammelt und einer schrie uns zu: „Frauke liebt euch nicht!“, was ich etwas gemein fand. 🙁
Ein stadtbekannter Linksextremist und Berufsdemonstrant mit einer riesigen Fahne schrie mit seinem kleinen Häuflein Ewiggestriger wie wild auf die Polizei ein, weil diese eine ihrer Tussen, die offenbar besonders auf Krawall gebürstet war, soeben festgenommen und auf eine Sitzbank gedrückt hatte. Wir beobachteten das eher amüsiert und vereinzelt waren aus unserem Lager spöttische Rufe an die Fa zu hören, die diese aufforderten, einer geregelten Arbeit nachzugehen (was in der Tat eine gute Sache und für diese eine völlig neue Erfahrung wäre).
Und immer wieder war der vielstimmige Ruf zu hören:
„Wir kommen wieder!“
[Netzfund, geringfügig bearbeitet. Die hier beschriebene Demo fand im November 2015 statt]
Bilder:
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Bundesarchiv, Bild 183‑1989-1023–022 / Friedrich Gahlbeck / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de], via Wikimedia Commons
Noch ein Netzfund:
Die letzten Vorbereitungen auf beiden Seiten.
Die Antifa macht Blockadetraining um uns gewachsen zu sein.
Ich nehme meine Kinder in den Arm.
Die Antifa verteilt Aufkleber und Flyer gegen uns.
Ich nehme meine Kinder in den Arm.
Die Altparteien rufen zum Stoppen und Verhindern der Demo auf.
Ich nehme meine Kinder in den Arm.
Die Presse hetzt und wütet mit Beschimpfungen und Diffamierungen.
Ich nehme meine Kinder in den Arm.
Liebe Antifa, liebe Grünen, SPD und Linke,
ihr werdet versuchen unser Demonstrationsrecht zu beschneiden, ihr werdet uns beleidigen ohne uns zu kennen, vielleicht werdet ihr auch versuchen Gewalt anzuwenden.
Ich werde dort sein, mein Vaterland im Herzen, in meiner Muttersprache die Hymne singen und ich werde für meine freie Meinung und für unser aller freies Leben kämpfen.
Vielleicht werde ich Angst haben, vielleicht traurig sein wegen der schlimmen Worte die ihr benutzt, vielleicht auch verletzt werden, aber wenn ich wieder nach Hause komme, werde ich wissen, ich habe alles getan um für unsere Zukunft einzustehen und für die künftige Heimat meiner Kinder zu kämpfen.
Ich werde nach Hause kommen und wissen wofür ich mir das alles angetan habe, denn dann nehme ich meine Kinder in den Arm.