Gibt es eigentlich noch sowas wie eine bodenständige Mitte? Ich meine jetzt nicht die sich immer wieder neu erfindende ‘Neue-Deutsche-Welle-Mitte’, die ihre horizontbefreite hinterwäldlerische Perspektive stets für den Nabel der Welt hält, egal in welcher Sackgasse sie sich gerade tummelt, sondern die aufgeklärte Mitte, die Alternative zu deutschen Sonderwegen, die nach Harmonie von Natur, Kultur, Erfahrung, Vernunft & Erkenntnis strebt und ihr Handeln danach ausrichtet.
Aktuell sehe ich vor allem in den USA, dem Flaggschiff der westlichen Wertpapiergemeinschaft, sowie ihren nachlaufenden deutschen Wald & Wiesen-Visionären mit überdimensioniertem Hang & Talent zum ‘Pathos des Absoluten’, aber auch anderswo in der in jeglicher Hinsicht überhitzten Welt zumeist polarisierte Lager. Die einen halten Corona & Klimawandel etc. mehr oder minder für eine Lappalie oder gar für Fake, die anderen machen einen Kult daraus und opfern Lockdown & Energiewende alles andere, z.B. solche Kleinigkeiten wie Aufklärung, Freiheit, Wirtschaft & gesunden Menschenverstand.
Bei Bevölkerungswachstum und Migration [2] verhält es sich ebenso, nur dass die Besorgten und die Unbesorgten sich ziemlich zuverlässig in den jeweils gegenüber liegenden Lagern versammeln. Für die einen sind open borders, Schmelztigel und sonstige Poesiealbum-Weisheiten das alternativlose gelobte Land – natürlich völlig losgelöst von der Erde und schwerelos vom Ballast lästiger Regeln – bei einigen anderen schwillt das Hirn statt das Herz, wenn ihnen eine Schwarze Schönheit in der U-Bahn über den Weg läuft oder ein unaufdringliches freundliches südländisches Lächeln begegnet. – Die Beschreibung mag in Teilen überzogen sein, aber der Trend geht in D eindeutig in Richtung Zentrifuge, nicht in Richtung Verständigung. Und das ist leider nicht zuletzt das Verdienst der obersten Propaganda-Nomenklatura.
Houston, wir haben ein Problem!
Ich finde durchaus, dass es enorme globale Probleme gibt. Ökonomisch – es droht eine gigantische Weltwirtschaftskrise, nicht zuletzt aufgrund der gigantischen Verschuldung – ebenso wie klimatisch, politisch, kulturell, soziologisch und sozial: Eine Klimaveränderung findet definitiv statt, ganz egal, was die Haupt- Ursachen dafür sind, und das Bevölkerungswachstum hält unvermindert an. Beide Faktoren verschärfen das Problem der Migration und stellen unabweisbare soziale Fragen nach klugen Strategien im Umgang damit sowie nach sozialisationsbedingter und kultureller Kompatibilität mit der Realität wie mit den Mitmenschen – und zwar stellen sich diese Fragen mehr bei denen, die damit in Banlieues & Brennpunktvierteln konfrontiert sind und weniger bei denen, die im Elfenbeinturm gelegentlich schon mal davon gehört haben. Auch die Bedohung durch ABC-Waffen, Terror & Gewalt wird nicht geringer. Hinzu kommen bzw. basal für die ganze Chose sind die beliebten Evergreens arm & reich, oben & unten, rechts & links, Nomaden & Siedler, die es spätestens seit der Sesshaftwerdung vor 10.000 Jahren gibt, mal ganz abgesehen von Revierkonkurrenz & -kämpfen in den zig- oder gar hunderttausenden Jahren zuvor. Last but not least seien auch Ideologien und Weltanschauungen in dieser Aufzählung erwähnt, die vielen das Leben schwer machen und einigen wenigen leicht.
Die Welt ist verteilt, alle fruchtbaren Böden und Bodenschätze sind vergeben, alle bewohnbaren Gebiete dicht besiedelt. Die Welt ist an ihren Grenzen angelangt. Es gibt kein unendliches Wachstum in einem endlichen System. Die Menschheit verbraucht aktuell weit mehr, als die Natur hervorbringt und zerstört mehr, als die Natur zu heilen vermag. Mit seinen Werkzeugen von Atomkraft, Biogenetik und Chemie über Industrialisierung bis hin zu seiner nach wie vor enormen blinden, archaischen Zerstörungsenergie sitzt der Mensch an der Seite Gottes gerade so wie der Teufel – natürlich nicht als Schöpfer, aber immerhin als Great Pretender und potentiell Großer Zerstörer.
Die Welt ist in Wandel & Bewegung. Materiell, ideell und informationell. Ob Ökonomie, Pandemie, Bevölkerungswachstum, Klima oder atomare Bedrohung – überall droht ein ganz konkreter, realer, materialer wie ideeller lokaler oder globaler Clash von Interessen und damit viele mehr oder minder begrenzte Konflikte, aber auch ein großer ‘Great Reset’. Der WK2 vermittelte eine Idee, was ideologisch & technologisch möglich ist, so wie alle anderen Kriege und Bürgerkriege ein um sich greifendes Wasteland erschaffen können, wie es in den vergangenen Jahren ständig in der Dritten Welt und an der Peripherie von Europa geschehen ist, ob in Afrika, Südamerika, Asien, in Libyen, Irak oder Syrien, und auch mitten in Europa wie in Jugoslawien und der Ukraine. Die Frage scheint mir nicht zu sein, ob die Gefahr gewaltiger Zerstörungen existiert, sondern ob man präventiv etwas dagegen tun kann & will und wenn ja was.
Ob mit einer hierarchischen top-down Weltregierung in Tradition totalitärer Regimes oder mit mehr Subsidiarität, Selbstbestimmung incl. Selbstverantwortung sowie Kooperation im Sinne der Aufklärung. Oder mit etwas ganz anderem. Am Reißbrett zu agieren und ebenso theorielastig wie ergebnisunabhängig im Dr. Frankenstein- Labor zu experimentieren, wie es im Elfenbeinturm und von den Kanzeln geschieht, ist mir ebenso suspekt und ein bisschen zu wenig wie einfach nur in der Schmoll- Ecke zu hocken, in der es sich etliche oppositionelle Dissidenten & Kritiker zumindest intellektuell mehr oder minder komfortabel eingerichtet haben.
Links
The Great Reset (WEF – World Economic Forum)
Great Reset (Wikipedia)
Was der „Great Reset“ bedeutet (Tichys)
Komitee zur Rettung der Welt (Achgut)
Szenarien für eine neue Wirtschaftsordnung (BR)
Ges.-vertrag für eine Große Transformation (Wiki)
Ein interessantes und wie ich finde alternatives, liberales und sehr lesenswertes Konzept von Timothy Garton Ash: Warum (und wie) sich der Liberalismus im 21. Jahrhundert neu erfinden muss (NZZ)
Tielbild: Public Domain (Wikimedia)
Hinterlassen Sie den ersten Kommentar