Das Hauen & Stechen in den Parteien nimmt Fahrt auf. Nach den desaströsen Ergebnissen der gerade-noch Volkspartei CDU/CSU – oder ist es vielleicht nur noch ein Merkel-oder-nichts- Wahlverein – sowie der einstigen Volkspartei SPD bei den Bundestagswahlen am 24. September war zunächst bei der Union der seit Jahren schwelende Richtungsstreit zwischen den beiden ungleichen Schwestern offen ausgebrochen. Er wurde mühsam mit einem Formelkompromiss beigelegt. Halbwertzeit vermutlich bis zu den in diesen Tagen beginnenden Jamaika-Koalitionsverhandlungen. Bei der SPD gab es ein paar unauffällige Umbesetzungen und beiläufige Entsorgungen in den vorläufigen Wartestand und ansonsten jede Menge Zärtlichkeiten, gegenseitiges Wundenlecken & Besinnlichkeit bei Kerzenschein. Die Liberalen berauschen sich noch an ihrer Reinkarnation und die Grünen laben sich am Soma des unerwartet guten Ergebnisses bei der Bundestagswahl.
Die Linke hingegen verschob – ungewohnt pragmatisch und diszipliniert – die überfällige programmatische Auseinandersetzung um 3 Wochen, bis nach den Wahlen in NDS und Ösiland. Nur Sahra Wagenknechts blaues Kleid und Katja Kippings rote Kostümjacke versprachen schon am Wahlabend Partystimmung.
Zoff zwischen Partei- und Fraktionsspitze
Pünktlich nach den Wahlen in NDS & Ösiland war es dann soweit: Der Konflikt eskalierte – zunächst einmal zwischen der Partei- und der Fraktionsspitze. Geht da noch mehr, geht’s vielleicht auch noch tiefer? Man wird sehen… Vordergründig ging es um das ‘Erstrecht’. Also um den Erstzugriff auf das Rederecht im Bundestag. Die Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger wollten sich diesbezüglich per Fraktionsbeschluss praktisch gleiche Rechte wie die designierten Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch zusichern lassen. Wagenknecht betrachtete dieses Ansinnen als Affront. Um als Zugpferd bei den Wahlen den Karren zu ziehen und hernach in der Fraktion kaltgestellt zu werden, ist sie sich zu schade. Das grenzte ja schon fast an Wählerbetrug. Dass darüber hinaus im Hintergrund Gerüchte um Mobbingpläne gegen sie schwirrten, sollte sie sich den Zumutungen der Parteispitze widersetzen, heizte den Konflikt an. Wagenknecht drohte am Tage der Fraktionssitzung mit dem Verzicht auf eine Kandidatur zum Fraktionsvorsitz.
Der Antrag von Kipping und Riexinger kam dann nicht durch (oder wurde zurückgezogen?) und Bartsch und Wagenknecht wurden als Fraktionsvorsitzende wiedergewählt . Bartsch und Wagenknecht behaupteten sich also und es scheint nun zwischen Vorstand & Fraktionsspitze zu einer Art Burgfrieden nebst Formelkompromiss gekommen zu sein. Ein Patt an der Spitze mag der Fraktion und den Abgeordneten erstmal nützen, aber nützt er auch der Partei und vor allem den Bürgern auf mittlere Sicht?
Zeit zum Reifen
Oder wäre es jetzt nicht eher an der Zeit, dass ‘Die Linke’ sich positioniert? Zum einen in der System-Frage – ob man künftig zugunsten einer von den etablierten Parteien zertifizierten ‘Regierungsfähigkeit’ Missstände im Land mitverwalten will, sich also mit kosmetischen Korrekturen begnügen will, oder ob man echte, strukturelle Veränderungen anstrebt – was ja beileibe noch keine ‘Revolution’ wäre? Konzepte liegen bereits in der Schublade und sogar auf dem Tisch, wie etwa die Rentenreform, aber die Frage bleibt, wie Ernst ist es einem damit, falls es wieder mal Ernst werden sollte.
Die andere Frage ist: Darf man sich länger einer realistischen Bewertung der Asyl- und Einwanderungsfrage entziehen? Will man weiterhin dafür plädieren, hunderttausende junge Männer aus aller Welt in Deutschland aufzunehmen und aufwändig zu versorgen und die daheim im Elend zurück gelassenen Schwestern sowie die sozialen, kriminologischen, kulturellen und demographischen Verwerfungen hierzulande ignorieren & verdrängen? Und damit das Prinzip der Sozialen Gerechtigkeit in doppelter Weise verletzen (2), wie Oskar Lafontaine es beschrieb? Oder will man sich entschieden gegen alle Spielarten der neoliberalen Globalisierung positionieren? Sowohl gegen die strukturellen Ursachen, welche die Migration auslösen, als auch gegen die zwielichtigen Kräfte, welche die Massenmigration inszenieren, benutzen und damit spekulieren? Und statt dessen offensiv für einen humanen, globalen Austausch auf Basis von Fairness, Respekt und Geben & Nehmen, aber auch von Selbst- und Eigenverantwortung souveräner Staaten eintreten?
Am Ende des Tages ist es auch eine Frage von Vernunft vs. Ideologie: Will man die Gesellschaft gemäß dem Menschen gestalten oder den Menschen gemäß einer Ideologie, einer gesellschaftlichen Utopie, in schlechter Gulag- oder killing-fields-Tradition umerziehen, Neue Menschen aus ihnen machen? Akzeptiert man den Dreiklang von ‘Natur – Kultur – Erfahrung’, der das Menschsein und die menschliche Gesellschaft ausmacht? Oder verzichtet man weiterhin auf 1,5 Elemente davon und glaubt, dass der Mensch es besser kann als der liebe Gott bzw. die Natur und dass der engagierte Aktivist von heute es unendlich viel besser weiß, wie es richtig geht, besser als all seine Vorgänger und Ahnen in den vergangenen 200.000 Jahren?
Und wie wäre es mal mit der Einsicht in die Notwendigkeit, dass sich mit Marx & Hegel alleine die Welt nicht erklären lässt? Es braucht auch noch Schopenhauer & Brecht dazu und vermutlich noch den einen oder anderen mehr. Denn das Sein bestimmt das Bewusstsein und erst kommt das Fressen und dann die Moral. Jeder einzelne Mensch kann sich ändern. Aber kein Mensch kann die Menschen ändern.
Links
Wagenknecht droht Rücktritt an (FAZ)
Katja Kipping: „Reinigendes Gewitter“ (taz)
Alles Nazis außer ich (Zeit)
Pau: »Schluss mit Kindergarten« (ND)
Nachträgliche Links
Die Open-Border-Linke bittet zum letzten Tanz (Achgut)
„Kein Gefühl mehr für normale Leute“ (taz)
“Lafontaine und Wagenknecht … schwere Hypothek” (Zeit)
Gregor Gysi: “Sahra ist keine Göttin, und das weiß sie auch” (Zeit)
Wagenknecht kritisiert linke Doppelmoral (Zeit)
Titelbild: Collage, zusammengesetzt aus:
(1) Foto: Sven Teschke / , via Wikimedia Commons
(2) By Anke Illing / http://www.iv-fotografie.berlin [CC BY-SA 4.0], via Wikimedia Commons
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