In diesen Tagen lenken Politiker, Investoren und Geostrategen über die Medien unsere Aufmerksamkeit auf die jungen Männer, die aus unterschiedlichen Gründen nach Europa gegangen sind oder noch gehen wollen. Wegen Krieg oder Bürgerkrieg, aus wirtschaftlicher Not, aus Perspektivlosigkeit oder Abenteuerlust.
Auf jeden, der seine Heimat verlässt, kommen aber hunderte, die daheim bleiben: Mütter und Väter, die ums nackte Überleben ihrer Familien und Dörfer kämpfen, Frauen und Kinder, oftmals unterernährt und vom Hungertod oder von Vertreibung bedroht, und Alte sowieso.
Immer häufiger ihr Problem: Landgrabbing (Landraub). Internationale Agrarkonzernen kaufen in Asien und Afrika großflächig fruchtbares Land auf oder pachten es auf Jahrzehnte von korrupten Regierungen. Millionen von Kleinbauern verlieren dadurch ihre Existenz, müssen als Tagelöhner oder gar Kindersklaven auf riesigen, monokulturell bewirtschafteten Plantagen, im Bergbau oder in Fabriken und Manufakturen für einen Hungerlohn schuften.
Über diese Praktiken und Schicksale spricht kaum jemand. Warum nicht?
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Landgrabbing in Mali
Ausverkauf in Afrika – Der Kampf ums Ackerland. Landgrabbing in Mali, Doku 2012 (43:46 min)
‘Wir’, die ‘einfachen Bürger’ in den Wohlstandsregionen, würden durch ihr Konsumverhalten das Elend in der Dritten Welt verursachen oder zumindest wesentlich dazu beitragen, heißt es oft. Dieses Argument ist aber wenig stichhaltig. Zum einen gibt es auch in den sogenannten ‘reichen Ländern’ immer mehr arme Menschen, die auf günstige Einkäufe angewiesen sind.
Zum anderen kann man kein Produkt erwerben, das nicht von einem Anbieter auf dem Markt bereitgestellt wird und von der Marktaufsicht zugelassen ist. Regeln und Normen zu Erzeugung, Vertrieb und Handel mit Produkten liegen in der Verantwortung der Gesetzgeber, inzwischen oftmals auch multinationaler Organisationen und Handelsabkommen, die Einhaltung dieser Regeln in der Verantwortung von Hersteller und Händler, die Kontrolle der Einhaltung der Regeln in der Verantwortung der Behörden für Produkt- bzw. Marktaufsicht, ein sachgerechter Umgang mit dem erworbenen Produkt in der Verantwortung des Erwerbers. Gibt es in dieser Kette Mängel oder Fehler, so können sie in der Regel eindeutig zugeordnet und müssen auch genau dort behoben werden. Das ist das Prinzip einer arbeitsteiligen Gesellschaft.
Die Gewinne aus den Ressourcen und Produkten der Dritten Welt fallen bei den Agrar- und Rohstoff- Multis an, den Fabrikanten und Produzenten, den Großhändlern und Importeuren, den Geldgebern und Finanzinvestoren sowie bei den Politikern, welche die gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen und entsprechende Lizenzen erteilen. Bei Geschäftsleuten, Politikern und Verantwortungsträgern hier wie dort übrigens – denn seit dem Ende der Kolonialzeit geht nichts ohne die Mitwirkung lokaler Eliten. Auch in Afrika gibt es Milliardäre.
Aber die Gewinne gehen keineswegs an die einfachen Bürger im ‘Westen’, sondern sie werden vielmehr aus den Geldbeuteln der Konsumenten im Westen geschöpft, i.e. realisiert!
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Weltweiter Landraub
Weltweiter Landraub am Pranger – BR, (7:22 min)
Natürlich sollte ein jeder beim Einkauf nach Möglichkeit darauf achten, fair produzierte und gehandelte Produkte zu erwerben. Aber der Einfluss des einzelnen Konsumenten ist sehr gering. Er beginnt nicht nur bei ihm selbst, sondern endet dort auch bereits. Auf Kaufentscheidungen anderer Konsumenten hat er keinen Einfluss. Allgemeine Relevanz hat sein Verhalten daher nicht.
Die Möglichkeiten von Politik & Wirtschaft sind dagegen um Unendlichkeiten größer. Wer das abstreitet, relativiert oder gar pauschalisiert, z.B. indem er eine Gesamthaftung der Konsumenten oder des ‘Westens’ konstruiert, ist nicht etwa ein edelmütiger Mensch, sondern erschwert oder verunmöglicht gar die politische Lösung dieser Probleme, indem er den wirklich Verantwortlichen ein Alibi verschafft und ihnen die Möglichkeit bietet, sich aus der Verantwortung zu stehlen, während er zugleich Unschuldige in Haftung nimmt für etwas, was sie weder getan haben noch woran sie Schuld haben.
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Agrarinvestoren auf der Suche nach Beute
Die Jagd nach Land: Das globale Geschäft mit dem fruchtbaren Boden, ARD, 2012 (42:22 min)
Aufgrund von Ausbeutung, ethnischen oder religiösen Konflikten, Kriegen, Korruption und Gesetzlosigkeit denken zig Millionen Menschen in der Dritten Welt an Flucht oder Migration.
Für das gleiche Geld, das in Deutschland für zwei Millionen Flüchtlinge aufgewendet wird, könnten vor Ort in Nahost oder Afrika aber viele Millionen Familien unterstützt werden, bis zu 60 Millionen Menschen – Männer, Frauen und Kinder! Denn “jeder Euro, den wir vor Ort investieren, hat 30 bis 40 Mal so viel Wirkung wie bei uns“, sagt Ex-Entwicklungshilfeminister Gerd Müller. Da fragt man sich, warum die Bundesregierung ausgerechnet auf dem Höhepunk der Kriege in Syrien und im Irak die Zahlungen für die UN-Flüchtlingslager dort um mehr als die Hälfte kürzte [2] …
Man kann aber jeden Euro nur einmal ausgeben. Wir werden uns also entscheiden müssen, ob wir jährlich einen Aufwand in Höhe von 50 Mrd Euro oder mehr betreiben wollen für 2, 3, 4 oder 5 Mio Menschen, die wir bei uns aufnehmen und versorgen, oder ob wir – durch aktive Friedenspolitik und die unbedingte Verpflichtung globaler Konzerne auf sozialverträgliches Handeln und Wirtschaften auf der einen, aber auch das Fördern und Einfordern von Eigenverantwortung auf der anderen Seite – nachhaltig dazu beitragen wollen, hunderten von Millionen Menschen vor Ort ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.
Jeder muss sich entscheiden, wofür er sich einsetzen will…
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Titelbild: Wikimedia Commons
Fluch oder Segen? Reiche Länder kaufen Äcker in Afrika
https://www.wiwo.de/technologie/green/fluch-oder-segen-reiche-laender-kaufen-aecker-in-afrika/13546400.html