Open Borders: Gesinnungsethik oder Extremismus?
Als im Herbst 2015 jeden Tag tausende Asylsuchende und Migranten ins Land strömten, warnten laut einem Artikel der Welt Sicherheitsexperten vom Verfassungsschutz, dem BKA, dem BND und der Bundespolizei vor den Folgen einer Politik der offenen Grenzen.
Herbst 2015: Dienste warnen vor Instabilität
„Der hohe Zuzug von Menschen aus anderen Weltteilen wird zur Instabilität unseres Landes führen,“ fürchtet ein Spitzenbeamter. „Wir produzieren durch diese Zuwanderung Extremisten, die bürgerliche Mitte radikalisiert sich, weil sie diese Zuwanderung mehrheitlich nicht will und ihr dies von der politischen Elite aufgezwungen wird.“ Er prophezeiht: „Wir werden eine Abkehr vieler Menschen von diesem Verfassungsstaat erleben.“
In dem unterschriftslosen Papier, das unter hochrangigen Experten der deutschen Sicherheitsdienste kursierte und der ‘Welt am Sonntag’ nach eigenen Angaben vorliegt, ist die Rede vom Import von islamistischem Extremismus, arabischem Antisemitismus, nationalen und ethnischen Konflikten fremder Völker sowie von einem anderen Rechts- und Gesellschaftsverständnis. Das Non-Paper warnt: „Die deutschen Sicherheitsbehörden sind und werden nicht in der Lage sein, diese importierten Sicherheitsprobleme und die hierdurch entstehenden Reaktionen aufseiten der deutschen Bevölkerung zu lösen.“
In einem von Ex-Innen-Staatssekretär August Hanning vorgelegten Zehn-Punkte-Plan der Sicherheitsdienste lautet die erste Forderung: 1. Erklärung der Bundeskanzlerin / Bundesregierung, dass die Aufnahmekapazitäten in Deutschland bis auf Weiteres erschöpft sind und Deutschland keine zusätzlichen Migranten mehr aufnehmen kann. (Quelle: Artikel von Stefan Aust & Co., Welt, 25.10.2015 | Ersatzlink)
Was sie (die Kanzlerin) heute treibt, grenzt an Untreue im Amt. [Henryk M. Broder, Oktober 2015 | Ersatzlink]
Prof. Werner Patzelt: ‘Nie gefragt, ob wir Einwanderungsland werden wollen’ [Ersatzlink]
‘Open Borders’ als Religion
Obwohl das gesinnungsethische Konzept der ‘offenen Grenzen’ angesichts der Armut in der Dritten Welt und hunderten von Mio Menschen, die gerne migrieren würden, völlig unrealistisch ist, wie praktisch alle renommierten nationalen und internationalen Migrations-Experten bestätigen, wird es de facto von dominierenden Kräften in Politik, Medien und Gesellschaft von rot bis grün und sogar in Teilen der Union bis hin zur Kanzlerin mit geradezu religiösem Eifer vertreten. Wie soll man die 3 open borders Mantras der Kanzlerin
(1) ‘das Asylrecht kennt keine Obergrenze’
(2) ‘Deutschland kann seine Grenzen nicht schützen’
(3) ‘wir können nicht bestimmen, wie viele kommen’
anders verstehen denn als Akt der Aufgabe der Souveränität des Staates und damit der Preisgabe des Gemeinwesens? Mit diesen Aussagen sind alle drei Staatsmerkmale, nämlich Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt und somit der soziale Rechtsstaat (GG 28!) zur Disposition gestellt! Und wie ihr ‘wir schaffen das’ angesichts der im Wortsinne grenzenlosen Dimension des Projektes anders denn als gesinnungsextremistischen, fundamentalistischen ‘Pathos des Absoluten’?
Warum Massenmigration die Armut der Welt nicht beheben kann – numbers.org [Ersatzlink]
Im gesamten Jahr 2015 waren ‘offene Grenzen’ politische Praxis. Fast 1 Mio Asylbewerber kamen weitgehend unreguliert und unkontrolliert ins Land und in 2016 noch einmal 300.000. Erst ab dem Frühjahr 2016 wurde die Zuwanderung diskret begrenzt durch Aktivitäten Dritter oder das Anheuern externer Türsteher: Schließung der Balkanroute durch den damaligen österreichischen Außenminister und späteren Kanzler Kurz, Flüchtlings-Deal der EU mit der Türkei, Abkommen mit nordafrikanischen Mittelmeer-Anrainern wie Libyen und Marokko sowie zentralafrikanischen Staaten wie Niger. Diese Abkommen reduzierten die Zahl der Zuwanderer zwar, beseitigten die Ohnmacht und das Ausgeliefertsein Deutschlands jedoch keineswegs, sondern schufen neue Abhängigkeiten und Unwägbarkeiten.
Die von externen Partnern und Dienstleistern besorgte Begrenzung der Zuwanderung ermöglichte es der Kanzlerin jedoch, die drei open borders Mantras nicht öffentlich widerrufen zu müssen. Die deutschen Grenzen blieben offen, die glänzenden Fassaden des Potemkinschen Dorfes erhalten, unschöne Bilder ausgeblendet, der Mythos von Deutschland als gelobtem Land intakt. Die perfekte Illusion der unbefleckten Begrenzung!
‘Totale Abschottung’ als Popanz
Nicht minder unsinnig und weltfremd wie eine Politik der ‘open borders’ ist im Zeitalter von Globalisierung und internationaler Vernetzung und Abhängigkeiten das Konzept einer ‘totalen Abschottung’. Mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass dieses Konzept von keiner relevanten politischen Kraft in Deutschland vertreten wird. Vielmehr werden Forderungen nach Begrenzung, Reglementierung und Steuerung von Zuwanderung aus propagandistischem Kalkül vom politisch-medialen Establishment gezielt missinterpretiert und verfälscht, extremisiert und skandalisiert und als Wunsch nach ‘totaler Abschottung’ dargestellt.
Die Absicht dahinter ist durchsichtig: Indem man der eigenen absurden Politik der ‘open borders’ eine ebenso absurde Gegenposition gegenüberstellt, nämlich den Popanz der ‘totalen Abschottung’, relativiert man die Absurdität der eigenen Position. Absurdität ist nicht länger ein Alleinstellungsmerkmal der eigenen Position, vielmehr ist sie nur noch ebenso absurd wie die suggerierte Position des politischen Gegners.
Schaffen es doch einmal Forderungen nach vernünftiger Steuerung und Begrenzung, nach Zurückweisungen, Rückführungen und Remigration in die Debatte, werden sie sogleich mit hypermoralischem Absolutheits-Anspruch als eine Art ‘allgemeine Erklärung der Menschenfeindlichkeit’ diskreditiert oder unter mehr oder minder fadenscheinigen Vorwänden für unrealisierbar erklärt.
Mit der nötigen medialen Macht im Rücken setzt das Beharren auf gesinnungsextremistischen Maximalpositionen – bei relativierter Praxis Dank angeheuerter externer Türsteher – zugleich so hohe idealistische Maßstäbe im Diskurs, dass jede realpolitische Abweichung davon als moralisches Defizit inkriminiert werden kann.
Polarisierung, Radikalisierung, Abkehr vom Diskurs
Diese Polarisierung der Debatte führt nicht nur zu einem Wettbewerb in der Disziplin, die gegnerischen Positionen überhöht bzw. verzerrt darzustellen, sondern auch dazu, die eigenen Gegenpositionen im Sinne eines Diskursgleichgewichtes ebenfalls zu schärfen und zuzuspitzen. Das führt insbesondere bei Mitläufern auf beiden Seiten schließlich dazu, sie auch tatsächlich so wahrzunehmen.
Die Extreme treten wie Leuchttürme in den Vordergrund, erscheinen immer realer und ziehen wie Schwarze Löcher alle Aufmerksamkeit und Emotion auf sich. Aufgrund der ständigen Wiederholungen gelten sie bald nicht nur als reale Möglichkeiten, sondern gar als einzig mögliche Alternativen. Dies wiederum vertieft die Spaltung in der Gesellschaft, zieht unüberbrückbare Gräben um die jeweiligen Positionen und macht Diskurs und Kompromiss unmöglich.
“Wir leben weit entfernt von Meinungsfreiheit. […] Zur Meinungsfreiheit gehört fundamental der Respekt vor Andersdenkenden. Und ich sehe nirgendwo auch nur den Ansatzpunkt eines Respektes vor dem, was andere, die nicht politisch korrekt denken, sagen und veröffentlichen.” Der Medien- und Kommunikations- Wissenschaftler Prof. Norbert Bolz über Meinungsfreihet, Anne Will, 05.09.2010 [Ersatzlink]
Je tiefer die Kluft und unvereinbarer die Positionen, desto geringer erscheinen die Chancen auf Einigung und Kompromiss. Wo kein Kompromiss möglich ist, gibt es nur Sieg oder Niederlage, alles oder nichts. Das erhöht den Erfolgsdruck. Damit wächst auch der Druck auf die Teilnehmer am Diskurs, sich eindeutig zu positionieren. Man will maximale Entschlossenheit und Geschlossenheit demonstrieren, um seine Anhänger zu motivieren und dem Gegner zu imponieren. Differenziertere Meinungen im eigenen Lager gelten als Gefahr für den Erfolg des Unternehmens und werden zunehmend rigoros unterbunden. Darüber hinaus wird der Versuch unternommen, weitere Anhänger zu rekrutieren. Mehr oder minder neutrale Außenstehende, die sich bislang herausgehalten haben, werden dazu aufgefordert, sich ebenfalls zu positionieren und für die ‘gute und gerechte Sache’ einzutreten. Es wird zum ‘Aufstand der Anständigen’ oder zur ‘Volkserhebung’ aufgerufen, um dem Vorwurf der Verantwortungslosigkeit oder des Mitläufertums zu entgehen.
Ein offener, fairer und verantwortungsethischer Diskurs darüber, wie viel und welche Art von Zuwanderung dem Land gut tut, vertretbar, verkraftbar und vernünftig ist, wird durch die Verabsolutierung tatsächlicher oder imaginierter Extrempositionen abgewürgt und infolge der mit der Polarisierung einher gehenden gruppendynamischen und massenpsychologischen Prozesse zusätzlich erschwert. Konzepte und Stimmen der Vernunft finden kaum noch Gehör und verschwinden aus der Debatte. Aufgeklärte und sozialverträgliche Lösungen für alle – nämlich auch für die gerne vergessenen ‘Daheimgebliebenen’ und die ‘schon länger hier Lebenden’ – geraten außer Reichweite. Letzten Endes dient Polarisierung dazu, einen rationalen Diskurs und einen fairen Ausgleich von Interessen zu unterbinden und damit Privilegien zu sichern oder zu erobern. Die heilige Inquisition erschafft sich ihre Teufel selbst.
Spirale der Gewalt
Wovor die deutschen Sicherheitsdienste im Herbst 2015 gewarnt hatten, wurde Realität. Die Fortsetzung einer Politik, die mit allem bricht, was zuvor galt, führte zu Verwerfungen, die sich in einer Unzahl furchtbarer Taten niederschlugen.
Die Zahlen für Mord und Vergewaltigung stiegen nach dem großen Flüchtlingsansturm im Jahre 2015 ein Jahr später laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS 2016) um 14 bzw. 13%. 15% der Tatverdächtigen waren Zuwanderer, die weniger als 2% der Bevölkerung ausmachen. Brutale Morde aus sexuellem Verlangen, ansozialisiertem Machismo oder verletztem Ehrgefühl wie an der Freiburger Studentin Maria L, an Mia V. aus Kandel oder an Susanna F. in Wiesbaden, menschenverachtende Vergewaltigungen, frauenverachtende Gruppenvergewaltigungen und Zudringlichkeiten wie in der Bonner Siegaue, in der Silvesternacht in Köln, in Freiburg, Terroranschläge wie in Berlin, bei Würzburg oder in Ansbach sowie eine Unzahl weiterer Gewaltexzesse bilden nur die Spitze des Eisbergs. Häufig waren bereits mehrfach polizeibekannte, bisweilen schon vor ihrer Einreise nach Deutschland straffällig gewordene abgelehnte oder chancenlose, aber dennoch im Land verbliebene Asylbewerber die Täter.
Die Gegenreaktion bestand in einer Flut von Drohmails und Hasskommentaren in Sozialen Medien gegen Politiker, Flüchtlinge und Muslime, in Anschlägen auf Asylbewerberheime vor allem in 2015 und 2016 sowie in wahllosen Attacken bis hin zu Mordanschlägen auf Migranten oder Ausländer, etwa das Attentat auf einen Eritreer im hessischen Wächtersbach. Es erfolgten Messerangriffe auf Politiker, so auf die parteilose Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker und auf Andreas Hollstein (CDU), den OB von Altena in NRW und sogar ein Mord am Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU). Von Angriffen auf Politiker, Parteien und deren Anhänger sind Befürworter wie Gegner der Migrationspolitik betroffen. Der ARD- Faktenfinder hat ermittelt, dass die oppositionelle AfD am häufigsten attackiert wird [Der Artikel des ARD Faktenfinder wurde entfernt (!!!) – siehe dafür Mitteilung des Bundestages zur Gewalt gegen Parteien | Archiv], öfter als alle anderen Parteien zusammen. Prominente Opfer in den Reihen der AfD waren der Bremer AfD- Chef Frank Magnitz, der Altmarker Parteivorsitzende Sebastian Koch, der Bundestagsabgeordnete Kay Gottschalk und der hannöversche Ratsherr Reinhard Hirche. Auch Wahlhelfer und Plakatkleber sind immer wieder betroffen.
Sitzt Politik derartige Entwicklungen aus, statt vernünftige Lösungen zu suchen und zu finden und wird ein fairer politischer Diskurs torpediert und unterbunden, treten Hass und Gewalt an seine Stelle. Eine fortgesetzte Polarisierung kann nicht nur zu Kurzschluss-Reaktionen labiler Einzelner führen, sondern eine Spirale der Gewalt in Gang setzen. Die Täter sind meist mit sich und der Welt unzufriedene Menschen voller Frust, Hass und Aggressionen, die in einer politisch aufgeheizten Stimmungslage die Chance wittern, endlich Be-Achtung zu finden nach der Devise: ‘Negative Aufmerksamkeit ist besser als gar keine’. In einigen Fällen könnten womöglich auch ‘agents provocateurs’ aller couleur mit im Spiel sein und die Eskalation vorantreiben. Die Opfer und Leidtragenden dieser Entwicklung sind fast immer völlig Unschuldige, deren einziges ‘Vergehen’ darin besteht, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein.
Aktualisiert: 2019-09-17
Link:
Titelbild: Collage aus
1) Viktor Mikhailovich Vasnetsov [Public domain], via Wikimedia Commons
2) Ute Kraus, Physikdidaktik Ute Kraus, Universität Hildesheim, Tempolimit Lichtgeschwindigkeit, (Milchstraßenpanorama im Hintergrund: Axel Mellinger)English: Ute Kraus, Physics education group Kraus, Universität Hildesheim, Space Time Travel, (background image of the milky way: Axel Mellinger) [CC BY-SA 2.0 de], via Wikimedia Commons
“Man merkt offenbar gar nicht mehr, dass jemanden als “Nazi” zu bezeichnen, der es nicht ist, die schlimmste denkbare Verleumdung und damit Hetze ist. Das aber geschieht in den Medien und inzwischen auch im Parlament. Ich warne vor den Gleichsetzungsdelirien: konservativ gleich rechts gleich rechtsextrem gleich Nazi. Das ist verantwortungslos. Dagegen muss unser Interesse sein, dem Konservativismus zu helfen, dass er seriös wird. Ob die AfD verwahrlost oder ob sie in die Spur kommt, hängt ganz entscheidend davon ab, ob das andere politische Spektrum seriös mit ihr umgeht.”
Rüdiger Safranski im Spiegel, 17.03.2018
https://www.spiegel.de/spiegel/ruediger-safranski-es-gibt-keine-pflicht-zur-fremdenfreundlichkeit-a-1198496.html