Jamaika oder der letzte Grund
Alle vier Jahre wechselt die Klabauterfrau die komplette Mannschaft aus. Dann wanken die ausgemerkelten Galeerensklaven von Bord, erschöpft und bis auf den letzen Blutstropfen ausgewrungen und ausgesogen. Ohne recht zu wissen, wie ihnen geschah.
Jeder im Hafen der Sehnsucht weiß: Wer mit der Kanzlerin unter eine Decke schlüpft, verliert seine Unschuld. Wenn Kohl Birne war, so ist Merkel Abrissbirne, eine Frau mit der politischen Wucht eines karibischen Hurrikans. Und doch stehen immer wieder tollkühne Freier und Pioniere bereit, ihr Glück bei Kohl’s Mädchen zu versuchen.
Und schon rudern sie wieder. Jamaika ist in Sicht, aber es findet sich bislang keine Bucht, deren Gewässer der schwerfälligen MS Deutschland – pardon, MS Merkelland – die erforderliche Handbreit Wasser unter dem Kiel und einen sicheren Ankerplatz beschert. Und die mitgeführten Landungsboote scheinen zu leicht, das schwere Gerät der dringend gebotenen politischen Neuausrichtung und Weichenstellung für die Zukunft an Land zu bringen.
“Der Steuermann lügt, der Kapitän ist betrunken, der Maschinist in dumpfe Lethargie versunken, die Mannschaft lauter meineidige Halunken, der Funker zu feig, um SOS zu funken. Klabautermann führt das Narrenschiff, volle Fahrt voraus und Kurs aufs Riff!” (Auszug aus dem Lied ‘Das Narrenschiff’ von Reinhard Mey)
Wahlarithmetik für Durchblicker
Lässt man mal das freundliche Gesicht der Kanzlerin beiseite und geht nach der traditionellen Ausrichtung der Parteien, dann haben heuer bei der Bundestagswahl im September 57% der Wähler für Mitte-Rechts gestimmt, aber nur 38% für Links-Grün *.
Bezieht man die Kanzlerin mit ein, so wird es knifflig. Gelten die Wählerstimmen den perfekt inszenierten, pergamentdünnen Fassaden ihrer Potemkinschen Dörfer oder sind die im Keller ein paar Etagen tiefer verborgenen Kollateralschäden eingepreist? Muss man die Stimmen für die CDU also splitten, weil auch deren politischer Standort aufgrund der in der Wolle grün und bürgerfern gefärbten Kanzlerin gespalten ist? In diesem Falle sähe die Priorität anders aus: Mitte-Rechts käme nur noch auf 43%, links-grün dafür auf 52%.
Wie auch immer: Man kann davon ausgehen, dass eine Jamaika-Koalition unter Merkel zumindest in den Kernfragen Migration, Europapolitik und Klimaschutz eine links-grüne Grundierung hätte. Somit wären CSU und FDP die voraussichtlichen Verlierer dieses Bündnisses. Ohne Merkel hingegen besäße Jamaika eine Mitte-Rechts- Ausrichtung und in diesem Falle wären die Grünen im Risiko. Allerdings wären die Grünen vermutlich nicht so dumm, überhaupt eine Koalition mit einer CDU ohne Merkel einzugehen. FDP und CSU hingegen scheinen derzeit prinzipiell zu einer Koalition unter Merkel und mit den Grünen bereit – und könnten sich damit möglicherweise als prinzipienloser als die Grünen erweisen.
Merkel oder Deutschland?
Um das Vertrauen in den Rechtsstaat wieder herzustellen, das Staatswesen in Ordnung zu bringen und zu retten, was zu retten ist, bräuchte es eine Mitte-Rechts- Regierung. Also Bahamas, Schwarz-Blau-Gelb. Bei allen sozialpolitischen Bauchschmerzen, die das verursacht, denn in diesem Bereich liegt ja auch vieles im Argen.
Die Passage nach den Bahamas hat man sich allerdings in der bewährten nautischen Kurzsicht erfahrener Nebelsegler durch die weltfremde Ausgrenzung der AfD zunächst einmal selbst verstellt. Mit einer Kapitänin, die das Schiff lieber aus dem komfortablen Hinterzimmer ihrer Kajüte lenkt statt auf der Brücke das Ruder zu übernehmen, ginge das ohnehin nicht. Da ist schon glattes Wasser voller Untiefen. Wie ist es erst bei rauher See? Zudem ist fraglich, inwiefern die CDU, die sich nie selbst dem eisernen Griff der Kanzlerin entwinden konnte, auch ohne Merkel überhaupt noch eine ordnungspolitische Orientierung hat und Kraft darstellt.
So ist die Hoffnung gering, dass man es alternativ zu allem andern einfach mal mit einer Politik im Sinne und gemäß den Interessen der Menschen im Lande probieren könnte, die den Karren ziehen. ‘Bürger zuerst’ oder so. Das soll ja früher bisweilen prima geklappt haben – Gott habe sie selig, die Sozialdemokraten – und anderswo sogar noch heute. Warum also nicht auch mal vom Ausland lernen? Doch wer das Schema deutscher Sonderwege kennen und fürchten gelernt hat, der ahnt, dass der teutonische Ruderer aus Tradition lieber einen Seelenverkäufer entert, um auf halber Strecke im Bermuda-Dreieck abzutauchen, als Kurskorrekturen vorzunehmen. Soviel an deutscher (Un-) Kultur ist dann doch erhalten geblieben.
Anmerkungen:
* Wahlergebnis Bundestagswahl 2017 (gerundet):
CDU 27%, CSU 6%, FDP 11%, AfD 13%, SPD 20%, Grüne 9%, Linke 9%.
Links:
Das Narrenschiff – Sebastian Brant (Wiki)
Themen bei den Jamaika-Verhandlungen (Zeit)
SPD bereit für Neuwahlen (Welt)
Bilder:
Narrenschiff – By Thomas Bühler (Archiv des Künstlers) [CC BY-SA 3.0 de], via Wikimedia Commons
Hieronymus Bosch [Public domain or Public domain], via Wikimedia Commons
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Mit Jamaika unterschreiben Lindner und Seehofer ihr politisches Todesurteil. Merkel wird sowieso wieder machen, was sie will.