Tagesschau- Moderator Gerrit Derkowski im Gespräch mit dem Juristen und Rechtsphilosophen Reinhard Merkel von der Uni Hamburg zum UN- Migrationspakt (10.12.2018)
Gerrit Derkowski (Tagesschau) im Gespräch mit dem Juristen Reinhard Merkel, 10.12.2018 (6:35; Ersatzlink)
Gesprächsprotokoll
Tagesschau: Welche Folgen wird denn der UN- Migrationspakt auf Deutschland konkret haben?
Merkel: Er wird eine Reihe auch von rechtlichen Folgen haben, richtig ist, dass er nicht unmittelbar rechtlich bindend ist – er ist kein regulärer völkerrechtlicher Vertrag – aber er wird die Judikatur beeinflussen, die mit Migrationsproblemen zu tun hat, etwa Verwaltungsgerichte hier, er wird ganz sicher die internationale Gerichtsbarkeit im Rahmen der Migrationsprobleme beeinflussen und er wird langfristig eine Art Druck entwickeln – so entsteht das Recht im Völkerrecht – über diese politischen Bindungen die am Anfang [in der Präambel] stehen. Und eine solche politische Bindung will der Pakt und vereinbaren die Staaten, die ihm beitreten.
Tagesschau: Insofern wäre ja dann das Ziel erreicht, oder?
Merkel: Ja, und deswegen ist es eigentlich ein bisschen seltsam, dass immer gesagt wird, er ist ja rechtlich nicht bindend. Wenn man die Inhalte billigt, und es sind sehr viele wichtige und richtige und gute Inhalte darin, aber wenn man ihn rundum billigt, dann muss man das eigentlich bedauern und nicht als Argument vor sich hertragen.
Tagesschau: Aber Sie haben ja sicherlich eine Erklärung dafür, warum das immer wieder so betont wird.
Merkel: Nun, weil natürlich eine gewisse Befürchtung besteht, nicht nur unter den Regierungen der Länder, sondern auch in der Bevölkerung, dass er doch Handlungsspielräume der Politik beschränken wird. Und das wird er auch.
Tagesschau: Gibt es spezielle Verpflichtungen, die man jetzt schon konkret benennen kann, die Deutschland eingeht mit diesem Pakt?
Merkel: Nun, alle diese Verpflichtungen sind politische Verpflichtungen, keine unmittelbar bindenden rechtlichen Verpflichtungen, aber davon stehen über hundert in dem Pakt. Wir haben 23 Ziele drin, die werden dann anschließend ausbuchstabiert, auf eine Zahl von über 100 kommt man, von ganz konkreten Massnahmen, zu denen man sich verpflichtet.
Tagesschau: Sie haben das ganze Vertragswerk ja gelesen. Nennen Sie uns mal ein Beispiel, was Ihnen da aufgefallen ist bei diesen über 100 Maßnahmen?
Merkel: Mir ist eine ganze Reihe an Dingen aufgefallen, zunächst einmal muss man auf die tatsächlichen Voraussetzungen einen Blick werfen, die der Pakt sich selbst zugrunde legt, nämlich ein uneingeschränktes Loblied auf die reguläre Migration, die nicht nur sozusagen eingerichtet und gesichert werden soll als “reguläre”, sondern die gefördert werden soll.
Das ist ein permanenter Unterstrom unter allen Vereinbarungen in diesem Pakt , eine Art Massgabe für sämtliche Vereinbarungen, die da drin stehen, an der man auch nicht einfach vorbeikommt. Das ist das eine. Das andere, was da drin ist, sozusagen negativ festzustellen ist, (ist) eine grundsätzliche Asymmetrie der Verpflichtungen. Nur die Ziellaender werden genannt, als die, die den Migranten gegenüber verpflichtet sind, viele dieser Verpflichtungen sind richtig, sind gegründet in völkerrechtlichen Garantien der Menschenrechte, aber es ist mit keinem Wort die Rede von Verpflichtungen der Migranten.
Tagesschau: Sie meinen, dass sich manche Länder dann darum kümmern werden und andere werden es ignorieren oder wie darf ich sie verstehen?
Merkel: Was den Pakt angeht, werden manche Länder sich darum kümmern, Deutschland ganz gewiss, ein Rechtsstaat wie Deutschland hat nach einer solchen politischen Verpflichtung natürlich die Umsetzung zu befördern, viele der Staaten, die das unterschrieben haben, werden sagen soweit er uns nützt, haben wir nichts dagegen, so weit er uns belastet, ignorieren wir den.
Tagesschau: Dieses Ziel, wie das immer genannt wird, illegale Migration bekämpfen, legale Migrationj erleichtern und ermöglichen, wird das mit diesem Pakt erreicht werden?
Merkel: Das glaube ich schon, dass das in einem gewissen Sinn erreicht wird, aber die legale Migration soll nicht nur gesichert und erleichtert, sie soll gefördert werden. Und das ist in Zeiten der Massenmigration eine merkwürdig verfehlte These.
Tagesschau: Woher kommt dieser Passus, was denken Sie, was hat da eine Rolle gespielt?
Merkel: Es wird bekräftigt, dass das zum ökonomischen Segen der ganzen Menschheit sei, die legalisierte reguläre Migration, in jeder Quantität, in jeder Geschwindigkeit, und das ist eine These, die auch ökonomisch nicht haltbar ist. Völlig ignoriert in dem Pakt werden soziale Probleme, kulturelle Reibungsflächen etwa, gegebenenfalls auch religiöse Probleme, das hätte angesprochen werden sollen.
Tagesschau: Aber die Verfasser werden sich doch dabei etwas gedacht haben?
Merkel: Klar haben die sich was dabei gedacht: Sie haben vor der Prämisse, dass Migration – als reguläre – ein Segen für die ganze Menschheit ist, sich dabei gedacht wie können wir das möglichst gründlich ausbuchstabieren. Es ist aber nicht einfach nur ein Segen.
Tagesschau: Und denken Sie denn, dass es dann am Ende doch Vorbehalte genau gegen solche Formulierungen geben wird?
Merkel: Ja, da bin ich ziemlich sicher, dass es solche Vorbehalte geben wird. In Marrakesch hat offenbar kein Staat, der dem Pakt beigetreten ist, solche Vorbehalte formuliert. Das wird gegebenenfalls in der UN- Generalversammlung in New York noch geschehen, ich hätte es vernünftig gefunden, eine Reihe von Vorbehalten zu formulieren, auch auf Seiten der Bundesregierung.
Tagesschau: Aber die hat sich nicht getraut Ihrer Meinung nach, oder hat sie es versäumt?
Merkel: Die hat das natürlich dezidiert nicht gewollt. Ich meine aber, dass der Pakt in seiner Einäugigkeit was die Verpflichtungen angeht – sehen Sie mal, lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Es wird gesagt, wir verpflichten uns, Intoleranz, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit gegenüber Migranten zu bekämpfen. Der Leser liest das, nickt mit dem Kopf, und erwartet dass jetzt gesagt wird, das gleiche auch auf Seiten der Migranten. Wir haben hunderttausende von muslimischen Zuwanderern in dieses Land bekommen die in einer Gesellschaft sozialisiert worden sind, die Antisemitisch ist. Natürlich gibt es da Rassismus. Und natürlich hätte in dem Pakt stehen müssen, die gleichen Pflichten treffen die Migranten. Es steht aber nicht drin.
Tagesschau: Und dadurch ist dann wahrscheinlich auch rechtspopulistischer Kritik daran Tür und Tor geöffnet worden?
Merkel: Ja, ich finde es bedauerlich, ehrlich gesagt, und ein bisschen beschämend, für die Regierungsparteien, dass es ausgerechnet die AfD war, die dieses Thema sozusagen als Generalthema in eine Parlamentsdebatte gezwungen hat. Das wurde vorher im Parlament da und dort angesprochen, aber nicht hinreichend gewichtig, nicht im hinreichenden Umfang. Das hätten die Regierungsparteien tun sollen und müssen.
Tagesschau: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Merkel!
Das Gespräch wurde am 10.12.2018 gesendet, nachdem die Bundesregierung dem UN- Migrationspakt in Marrakesch zugestimmt hatte.
Reinhard Merkel (* 12. April 1950 in Hof) ist ein emeritierter deutscher Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg. Seit 2008 ist er Mitglied im Deutschen Ethikrat.
Links
UN-Migrationspakt – Kurzinfo, Pro und Contra, Materialien
Radiointerviews mit Reinhard Merkel
Interview mit Reinhard Merkel zum GCM vom 10.12.2018 im DLF (11:05)
Interview mit Reinhard Merkel zum GCM vom 08.11.2018 im DLF (15:34)
Titelbild:
Ahmedo Semsurî [CC BY-SA 4.0], from Wikimedia Commons
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