Probiert Nairo Quintana es noch einmal?
In den drei Hochgebirgsetappen in den Alpen wird gestern, heute und morgen die diesjährige Tour de France entschieden.
Kann die kolumbianische ‘Bergziege’ Nairo Quintana nach seinem gestrigen überzeugenden Sieg auf der diesjährigen Königsetappe aufgrund einer beherzten Attacke beim Aufstieg zum Galibier 30 km vor dem Ziel und einer anschließenden Allein- Ab- und Schussfahrt ins Ziel nochmal nachlegen? Gestern halbierte er seinen Rückstand in der Gesamtwertung von knapp 9 auf unter 4 Minuten!
Aber ob er noch ganz vorne in die Entscheidung eingreifen kann? Wohl eher unwahrscheinlich, denn vor ihm befinden sich 6 Fahrer, die alle nur 2 min auseinander liegen: Julian Alaphilippe, der Träger des gelben Trikots, der verbissen und bislang unerwartet erfolgreich sein ‘Maillot Jaune’ verteidigt, und fünf recht starke bis sehr gute Bergfahrer.
Darunter erstmals seit den seligen, aber aufgrund der Doping-Skandale verruchten Zeiten von Jan Ullrich und Andreas Klöden auch wieder ein Deutscher: Emanuel Buchmann, der bislang meist abwartend fuhr und dabei stets recht locker mithalten konnte. Ob er heute oder morgen eine Attacke wagt? Experten vermuten, dass er wohl eher nicht angreifen wird, aber bereit stehen könnte, wenn andere schwächeln oder patzen.
Jeder von den fünfen kann mit etwas Glück und an einem sehr guten Tag die Tour für sich entscheiden! Nur an Spitzenreiter Alaphilippe glauben die wenigsten. Besonders gute Chancen dürfte ein weiterer Kolumbianer haben, Egan Bernal, der schon gestern immerhin 30 Sekunden aufs Gelbe Trikot gut machte und aktuell mit 1:30 min Rückstand auf Rang 2 liegt. Er dürfte heute und morgen erneut chancenreich sein. Doch auch Vorjahressieger Geraint Thomas (GB), Steven Kruijswijk (NL) und Thibaut Pinot (F) liegen auf der Lauer!
Ein weiterer Deutscher, Lennard Kämna, erst 22 Jahre alt, behauptet sich ebenfalls ausgezeichnet in den Bergen und wurde gestern vierter. In diesem Jahr schnuppert er erstmal nur in den Tourbetrieb hinein und zeigt hin und wieder, was er kann, liegt in der Gesamtwertung aber jenseits von gut & böse auf Rang 46. Doch Talent ist vorhanden. Für die Zukunft sollte man ihn im Auge behalten!
Heute gehts aufs Dach der Tour, morgen gibts einen 30 km langen Schlussanstieg – zum Toursieg?
Heute und morgen gibt es jeweis rund 130 km kurze, aber knackige Bergetappen, die es in sich haben. Heute geht es meistens bergauf bis aufs Dach der Tour, den 2770 m hohen Col d’Iseran, dann gehts gut 25 km bergab, aber nicht allzu tief runter und zum Schluss kommt noch ein 10 km langer Anstieg zum Ziel in Tignes. Gut möglich, dass hier der eine oder andere etwas probiert, wenn er gut drauf ist. Oder sparen sich die Top-Fahrer ihre Kräfte für den nächsten Tag auf?
Am Samstag dann kommt die gemeinsam mit der gestrigen vielleicht härteste und letzte ‘echte’ Etappe dieser Tour, was die Gesamtwertung angeht: Erst ein größerer und dann ein kleinerer Berg und zur Krönung des Tages schließlich ein höllischer, brutaler 30 km langer Schlussanstieg hinauf zum Ziel in Val Thorens. Ein echter Hammer! Spätestens auf diesem ‘Highway to Hell’, welcher dem Spitznamen ‘Tour der Leiden’ alle Ehre machen dürfte, wird die Tour de France 2019 endgültig entschieden! An diesem Samstag dürften Triumph & Tragödie im Zielraum dicht beeinander liegen – zeitlich und emotional könnten allerdings sportliche Welten die Pedalritter trennen!
Vor 50 Jahren: Drei deutsche Bergziegen!
Sogar drei gute Bergfahrer hatte Deutschland vor über 50 Jahren, in den 1950ern und -sechziger Jahren mit Hennes Junkermann, Rolf Wolfshohl und dem legendären ‘kleinen Kölner Karl-Heinz Kunde’, der wie heute Nairo Quintana als ‘Bergziege’ galt – im Radsport übrigens keineswegs ein Schimpfwort, sondern eine liebevolle Bezeichnung voller Anerkennung für gute Kletterer. Junkermann stand sogar einmal vor dem Toursieg. Doch vor der entscheidenden Etappe soll angeblich seine Fischmahlzeit vergiftet worden sein und statt einem glänzenden Etappensieg in den Bergen und einem Triumph bei der Tour entgegen zu fahren, musste er mit Magenkrämpfen vom Rad steigen. „Hätt isch misch doch dä Fisch nit jejesse,“ soll er daraufhin gesagt haben. Die Tour der Leiden ist eben wie das richtige Leben!
P.S. Ein weiterer sehr erfolgreicher deutscher Radrennfahrer zu dieser Zeit war Rudi Altig, der allerdings nicht in den Bergen glänzte, sondern in den Flachetappen und beim Sprint. Sein Spitzname gemäß seiner Initialen R. A. lautete die ‘Rollende Apotheke’! Was zumindest damals allerdings nichts besonderes war. Tour-Legende und Gewinner der ‘Großen Schleife’ von 1949 und 1952, der Italiener Fausto Coppi, sagte nach seiner Karriere, er habe nur gedopt, wenn es nötig gewesen sei. Auf die Frage, wie oft es denn nötig gewesen sei, meinte er: ‘Praktisch immer!’ 😉
Links zur Tour de France 2019:
Fernsehübertragungen auf ARD und Eurosport!
Gesamtwertung und Etappen- Ergebnisse (sportschau.de)
Etappenübersicht und Streckenprofile (sportschau.de)
Titelbild:Dacoucou [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons
Beitragsbild: Jérémy-Günther-Heinz Jähnick / Leuven – Brabantse Pijl, 15 april 2015, vertrek (B114) / Wikimedia Commons, via Wikimedia Commons
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