Immer heftiger und unnachgiebiger geraten die Groß- und Regionalmächte in Syrien aneinander. Kommen die Picadores, die von den jeweiligen Mächten unterstützen Rebellengruppen, in Bedrängnis, treten die Matadores, also die Regional- und Großmächte, ein Stück weit aus der Deckung und selbst in die Arena.
Damit wird auch immer klarer, wer wo steht. Das Verhältnis zwischen den USA und Russland wird von Tag zu Tag angespannter, im Hintergrund wird auch über die wachsende Rivalität des schiitischen Iran und des sunnitisch-wahabitischen Saudi-Arabien spekuliert. Europa sorgt sich offiziell um zunehmende Flüchtlingsströme, während auf der anderen Seite vor allem die deutsche Kanzlerin Immigration und Neuansiedlung in Deutschland vorantreibt.
Sahra Wagenknecht zur Situation in Syrien
Vieles ist nicht ganz eindeutig in diesem Konflikt. Bundesaußenminister Steinmeier schätzt die derzeitige Konfrontation zwischen den USA und Russland als gefährlicher ein als im Kalten Krieg. Alles scheint möglich.
In Syrien unterstützen Russland, China und der Iran die Regierung von Präsident Assad und seiner Baath-Partei, die USA und in ihrem Gefolge weite Teile des ‘Westens’, die Türkei, Katar, Saudi-Arabien und vermutlich auch Israel hingegen die FSA (Freie Syrische Armee) oder mittel- oder unmittelbar weitere diverse Rebellengruppen, einige wohl mehr oder minder direkt damit auch den IS, der u.a. für den Genozid an den Yesiden verantwortlich ist, sowie die Al-Nusra-Front.
US-General Wesley Clark (2007): Nach 9/11 planten USA Kriege gegen Afghanistan und 7 weitere Länder: Irak, Syrien, Libanon, Libyen, Somalia, Sudan, Iran. (Ersatzlink)
Auch Deutschland scheint einen nicht ganz unwesentlichen Part zumindest im ‘diplomatischen Dienst’ übernommen zu haben: Syrische Oppositionelle kamen offenbar bereits Anfang 2012 mit Wissen und Unterstützung der Bundesregierung in Berlin- Wilmersdorf zusammen, um monatelang Pläne für ein ‘Neues Syrien’ nach Assad [Archivlink] zu schmieden (5). Später (2013 ?) intensivierte die Bundesregierung noch die Unterstützung syrischer Rebellen (7). Im März 2020 schließlich kritisierte Bundeskanzlerin Merkel die Syrien-Politik des Westens und räumte mehr oder minder direkt den Versuch eines Regime Change ein: “Es habe sich gezeigt, dass ein von außen initiierter Wechsel der Regierung nicht möglich sei. Der Krieg habe nur zu einer Radikalisierung geführt.” Quelle: Reuters (8).
Etliche der oppositionellen Rebellengruppen dürften von undurchsichtigen Hintermännern, interessierten Kreisen oder Geheimdiensten inspiriert, infiltriert, instrumentalisiert, gesteuert oder gar gegründet worden sein. Derzeit konzentrieren sich die Kämpfe insbesondere auf Aleppo im Norden Syriens.
By Ermanarich [CC BY-SA 4.0], via Wikimedia Commons
Es geht in dem nun seit 5 Jahren andauernden Bürgerkrieg, der mit Protesten von unzufriedenen Jugendlichen in Dar’a gegen das zwielichtige Assad-Regime und seine mächtigen Geheimdienste begann, (auch oder vor allem ?) um wirtschaftliche, logistische und geostrategische Interessen der Groß- und Regionalmächte in der Region und um eine politische Neuordnung des Nahen Osten. Auch der Umstand, dass Syrien eines der letzten Länder der Welt sein soll, die noch eine unabhängige Zentralbank besitzen, könnte eine Rolle spielen. Für die Großmächte und die hinter ihnen stehenden Kräfte geht es darüber hinaus immer mehr um einen Richtungsentscheid über die Vormachtstellung in der Region und die weitere Entwicklung der globalen Welt.
Hunderttausende Menschenleben hat der Krieg in Syrien und im benachbarten Irak schon gefordert, Millionen sind innerhalb des Landes oder außerhalb auf der Flucht. 2014 kam es vor allem im Irak zum Genozid an den Jesiden [2] [3] durch den Islamischen Staat.
Michael Lüders bei ‘Lanz’ zum Syrien- Konflikt
In den Konflikt ist zudem maßgeblich die Volksgruppe der Kurden in Syrien und im Irak involviert, die auch in der Türkei in großer Zahl vertreten ist und nach jahrhundertelangen leidvollen Erfahrungen der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins als Spielball fremder Mächte einen eigenen Staat anstrebt. Die Kurden von der YPG sind ebenfalls in das Geflecht der mitunter wechselnden Allianzen eingebunden und gelten im Westen als Bollwerk gegen den IS. Die autonome Region Kurdistan im Irak wurde vorvergangenes Jahr von Deutschland mit Waffen beliefert. Die Türkei sieht in den Bestrebungen vor allem der syrischen Kurden hingegen eine Gefahr für ihre staatliche Einheit und bekämpft sie daher heftig.
Während der IS und seine Unterstützer eigene Ziele verfolgt, nämlich die Errichtung eines mächtigen Kalifats im Zweistromland, das sich von dort ausgehend weiter ausbreiten soll, ist das Ziel anderer Gegner Assads zunächst wohl ein ‘Regime Change’. Wer gibt ihnen eigentlich das Recht dazu? Niemand – sie nehmen es sich!
Madelyn Hoffman über Syrien
Madelyn Hoffman, Aktivisten der US- amerikanischen Friedensorganisation New Jersey Peace Action, schätzt den Bürgerkrieg in Syrien folgendermaßen ein:
“Das ist kein Bürgerkrieg, sondern Assad, mit seinem ganzen Volk, vereint, gegen ausländische Söldner, Terrororganisationen, deren Namen täglich wechseln, unterstützt von Katar, Saudi-Arabien, Türkei, USA und verdeckt (underneath) Israel. Und diese Söldner terrorisieren die Menschen und versuchen sie, auseinander zu bringen. […] Assad gewährt u.a. freie Gesundheitsfürsorge, freie Schulbildung.”
Weitere Artikel zu den verschiedenen Aspekten der Krise:
(1) Saudi-Arabien fordert von EU Sanktionen gegen Russland (DWN)
(2) Kurden in Syrien – Keine Stellvertreter des Westens (Zeit)
(3) Syrien – Staat aus dem Lot (neuland)
(4) US- Regierung diskutiert offen über Krieg gegen Russland (DWN)
(5) Das neue Syrien kommt aus Wilmersdorf (Zeit) [Archivlink]
(6) Merkel verlangt Sturz von Syriens Präsident Assad (DWN)
(7) BuReg intensiviert Unterstützung für syrische Rebellen (Spiegel)
(8) Merkel kritisierte Syrien-Politik des Westens (reuters)
Artikel aktualisiert: 2020-07-11
Titelbild (nachträglich eingefügt): Mahmoud Bali (VOA) [Public domain], via Wikimedia Commons
[…] Von der Agonie Syriens bis ans Ende der Welt? […]