- Der verbrannte Dornbusch
– Tiefer als der Abgrund
– Die verlorene Bucht
Ich kenne keinen Roman mit schöneren Kapitel- Überschriften. Sie passen nicht nur zum der Verachtung der Gegenwart und des Lebens geschuldeten Niedergang der Komintern, sondern meinem Empfinden nach auch in die heutige Zeit, in der die Menschen so in Not und voller Hass oder Selbsthass sind, dass sie diesseitigen oder jenseitigen totalitären Ideologien und Utopien bereitwillig alles Bestehende zum Opfer bringen.
Einer meiner Lieblingssätze des Klassikers von Manès Sperber findet sich schon im Vorwort:
“Dieser trilogische Roman hat nur scheinbar ein Ende, ihm fehlt überdies eine tröstliche Moral. Wie so viele Schriftsteller vor ihm, hat der Autor seinem Leser nur eines angeboten – mit ihm seine Einsamkeit zu teilen. Vielleicht ist dies die einzige Form der Gemeinschaft, in der jene zueinander finden, die aus der gleichen Quelle den Mut schöpfen müssen, ohne Illusionen zu leben.”
Dialogfragmente aus den ersten beiden Kapiteln
‘Ihr Kommunisten wollt vielleicht das Gute’, sagte mir einmal mein Vater, ‘aber ihr habt kein Erbarmen mit den Armen. Ihr habt kein Erbarmen mit euch und darum glaubt ihr, dass euch alles erlaubt ist […] Ihr liebt niemanden und niemand liebt euch.’
‘Vielleicht kann man die Menschen nicht erlösen, wenn man sie zu sehr liebt […] Es genügt nicht, für die Menschen zu sterben, man muss für sie morden […] Die Welt ist zu böse, ihre Erlöser können nicht gut sein.’
‘Wer hat euch denn zu unseren Erlösern gewählt? Wir nicht! […] Der Teufel hat immer gesagt, er wäre der wahre Gott. Der Teufel hat es selber auch geglaubt. Aber wehe dem, der es ihm geglaubt hat.’
‘Edi erkannte, dass Josmar nicht eine eigene Sprache, sondern einen Jargon sprach.’ […] ‘Das EKKI [Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale] irrt sich naturgemäß nicht.’
‘Ihr verlangt von den Zeitgenossen, im Dreck zu leben, […] damit die Enkel das Paradies auf Erden haben. Aber wir, sind wir nicht Enkel?’ […] ‘Arbeiterblut, das ist für sie billiger als die Druckerschwärze, mit der sie ihre Niederlagen in Siege umlügen. Und wer ihnen das sagt, der ist ein Konterrevolutionär.’
‘Und allerdings sind Sie ein Konterrevolutionär, gefährlicher und verabscheuenswerter als ein offener Faschist. Da gibt es keine Diskussion, da gibt es nur andere, endgültige Argumente.’
Zeitlose Dialoge, nicht wahr?
Das Ende vom Lied
Auf Wikipedia heißt es: “Der Roman endet damit, dass sich der Held, Dojno Faber, der Position seines Lehrers annähert und nicht mehr bereit ist, die Wahrheit zugunsten einer Ideologie zu verschweigen oder zu unterdrücken.”
Das Buch ‘Wie eine Träne im Ozean’ von Manès Sperber kann man im örtlichen Buchhandel erwerben oder bei Amazon bestellen: Wie eine Träne im Ozean: Romantrilogie
Titelbild:
Lenin (ganz vorne links) und andere Delegierte des II. Weltkongresses der Komintern am 19. Juli 1920, by Viktor Bulla [Public domain], via Wikimedia Commons
Sigmund Freud – Massenpsychologie & Ich-Analyse
“Was man dann später in der Gesellschaft als Gemeingeist, esprit de corps usw. wirksam findet, verleugnet nicht seine Abkunft vom ursprünglichen Neid. Keiner soll sich hervortun wollen, jeder das gleiche sein und haben. Soziale Gerechtigkeit will bedeuten, daß man sich selbst vieles versagt, damit auch die anderen darauf verzichten müssen, oder was dasselbe ist, es nicht fordern können. Diese Gleichheitsforderung ist die Wurzel des sozialen Gewissens und des Pflichtgefühls. In unerwarteter Weise enthüllt sie sich in der Infektionsangst der Syphilitiker, die wir durch die Psychoanalyse verstehen gelernt haben. Die Angst dieser Armen entspricht ihrem heftigen Sträuben gegen den unbewußten Wunsch, ihre Infektion auf die anderen auszubreiten, denn warum sollten sie allein infiziert und von so vielem ausgeschlossen sein und die anderen nicht? […]
Das soziale Gefühl ruht also auf der Umwendung eines erst feindseligen Gefühls in eine positiv betonte Bindung von der Natur einer Identifizierung. Soweit wir den Hergang bis jetzt durchschauen können, scheint sich diese Umwendung unter dem Einfluß einer gemeinsamen zärtlichen Bindung an eine außer der Masse stehende Person zu vollziehen. Unsere Analyse der Identifizierung erscheint uns selbst nicht als erschöpfend, aber unserer gegenwärtigen Absicht genügt es, wenn wir auf den einen Zug, daß die konsequente Durchführung der Gleichstellung gefordert wird, zurückkommen. Wir haben bereits bei der Erörterung der beiden künstlichen Massen, Kirche und Armee, gehört, ihre Voraussetzung sei, daß alle von einem, dem Führer, in gleicher Weise geliebt werden. Nun vergessen wir aber nicht, daß die Gleichheitsforderung der Masse nur für die Einzelnen derselben, nicht für den Führer gilt. Alle Einzelnen sollen einander gleich sein, aber alle wollen sie von einem beherrscht werden. Viele Gleiche, die sich miteinander identifizieren können, und ein einziger ihnen allen Überlegener, das ist die Situation, die wir in der lebensfähigen Masse verwirklicht finden. Getrauen wir uns also, die Aussage Trotters, der Mensch sei ein Herdentier, dahin zu korrigieren, er sei vielmehr ein Hordentier, ein Einzelwesen einer von einem Oberhaupt angeführten Horde.”
https://www.projekt-gutenberg.org/freud/massen/chap008.html